Bundesgerichtsurteil zu Reservationsverträgen bei Grundstückverkäufen

Immer wieder stellt sich die Frage, ob Reservationszahlungen, welche in Reservationsverträgen vereinbart werden, vom Makler oder Verkäufer zurückgehalten bzw. als Entschädigung behalten werden dürfen. Das aus dem Jahr 1913 stammende Bundesgerichtsurteil spricht eine klare und deutliche Sprache.

Der wichtigste Inhalt und für dieses Urteil massgebende Satz ist folgender: "Die Ungültigkeit des Vertrages erstreckt sich auf seinen ganzen Inhalt und daher auch auf solche dazu gehörende Nebenabreden, wodurch die Leistungspflicht einer Partei bekräftigt werden soll."

In der Praxis können nur nachweisbare Unkosten wie z.B. Notariatkosten (für die Nichtbeurkundung können Spesen anfallen) und/oder Reisekosten von der Reservationsgebühr in Abzug gebracht werden. Der Rest muss dem Käufer zurückbezahlt werden.

Hier geht es zum genauen damaligen Urteil, welches heute noch gültig ist:

42. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 26. April 1913 in Sachen Hess, Kl., und Huber, Bekl.

Art. 216 OR: Die Vorschrift, wonach Vorverträge zu Grundstückkäufen der öffentlichen Beurkundung bedürfen, ist um der öffentlichen Ordnung willen aufgestellt und ihre Nichtbeobachtung hat daher die absolute Ungültigkeit des abgeschlossenen Vorvertrages zur Folge. Diese erstreckt sich auch auf zugehörige, eine Bekräftigung der Leistungspflicht bezweckende Nebenabreden, wie Vereinbarung einer Konventionalstrafe oder eines Reugeldes. – Prüfung, ob im gegebenen Falle ein Vorvertrag zu einem Liegenschaftskauf abgeschlossen wurde. – Wenn der Schuldner für den Fall der Nichterfüllung die Bezahlung einer Entschädigung verspricht, so liegt darin kein bedingtes Zahlungsversprechen abstrakter Natur, sondern eine zum gesamten Vertragsverhältnis als Bestandteil gehörende Verpflichtung. – Arglistige Täuschung der Gegenpartei über das Erfordernis der öffentlichen Beurkundung (aus Gründen tatsächlicher Natur verneint).

A. Durch Urteil vom 18. September 1913 hat die 1. Appellationskammer des zürcherischen Obergerichts in vorliegender Streitsache erkannt:
„Die Klage wird abgewiesen“.
B. Gegen dieses Urteil hat der Kläger die Berufung an das Bundesgericht ergriffen mit dem Antrage, die Klage sei in vollem Umfange zu schützen.
C. Zu der heutigen Verhandlung ist weder der Berufungskläger noch für ihn ein Vertreter erschienen. Der Anwalt des Berufungsbeklagten hat auf Abweisung der Berufung und Bestätigung des angefochtenen Entscheides geschlossen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Der Beklagte, Ernst Huber-Wanner, hat am 9. September 1912 dem Kläger, Dr. Hess, folgende schriftliche Offerte gemacht: „Herr Huber in Goldbach offeriert hiermit an Dr. Hess…. auf Zusage bis morgen Dienstag den 10. September abends 8 Uhr: Seine im Goldbach zwischen der Seestrasse und dem See gelegene Villa (ehemals Grämli) mit ca. 12 Aren Umgelände zum Preise von CHF 74‘000.- ….“

Es folgen dann nähere, hier nicht in Betracht kommende Bestimmungen über die Abzahlungen, die Hypotheken, die Kanzleikosten und den Umfang des Kaufgegenstandes und zum Schlusse wird erklärt: „Sollte Herr Huber-Wanner von dieser Offerte zurücktreten, so zahlt er an Dr. Ed. Hess CHF 5'000 Entschädigung.“ Am 10. September antwortete der Kläger dem Beklagten: Er teile ihm mit, dass er die angebotene Villa nach den im gestrigen Vorvertrage vereinbarten Bedingungen kaufe; der notarielle Kaufvertrag solle morgens, den 11. September errichtet werden. Der Beklagte weigerte sich, die öffentliche Beurkundung des Kaufes vorzunehmen. Der Kläger setzte ihm nun Frist an, um sich zu erklären, ob er das Grundstück zufertigen wolle oder nicht und hob, als der Beklagte stillschwieg, Klage an mit dem Begehren, den Beklagten zur Zahlung von CHF 5'000 Entschädigung laut dem Vertrag vom 10. September 1912 zu verhalten.

2. Da der Kläger die Offerte des Beklagten vom 9. September 1912 durch Erklärung vom 10. September 1912 angenommen hat, ist eine Willenseinigung der Parteien zu Stande gekommen und zwar geht sie inhaltlich auf einen Vorvertag zu einem Liegenschaftskauf: Wenn der Beklagte erklärt, er offeriere die Liegenschaft dem Kläger, so will er damit nicht schon eine Verkaufserklärung abgeben, sondern nur die künftige Abgabe einer solchen, seine Mitwirkung beim später abzuschliessenden Kaufvertrage, zusagen. Und wenn er eine Entschädigung von CHF 5'000 für den Fall verspricht, dass er von dieser Offerte zurücktrete, so will er zur Zahlung der Summe nur dann verpflichtet sein, wenn er, nachdem der Beklagte die Offerte angenommen habe, den Kauf nicht eingehe, nicht aber will er schon ohne weiteres mit der Offerte selbst gebunden sein, bevor es überhaupt nur zu einer Annahme durch den Beklagten und damit zu einer Willenseinigung käme. Als Antrag zum Abschluss eines Vorvertrages hat auch der Kläger die Offerte vom 9. September aufgefasst, wie daraus hervorgeht, dass er bei ihrer Annahme von einem Vorvertrage sprach und erklärte, der „notarielle Kaufvertrag“ solle folgenden Tages gefertigt werden.

Zutreffend legt somit die Vorinstanz der Beurteilung des Falles den Abs. 2 des Art. 216 OR zu Grunde, wonach Vorverträge zu Grundstückkäufen zu ihrer Gültigkeit der öffentlichen Beurkundung bedürfen. Diese Formvorschrift ist um der öffentlichen Ordnung willen aufgeteilt, indem sie einerseits die Parteien bei Kaufverträgen über Liegenschaften vor unbedachten Vertragsabschlüssen sichern und anderseits im Interesse der Parteien und des Publikums Garantien für eine richtige Feststellung des Vertragsinhaltes bieten will (vergl. auch Huber, Schweizerisches Privatrecht IV S. 839). Sonach muss die wegen mangelnder öffentlicher Beurkundung bestehende Ungültigkeit eine absolute sein; Sie bedeutet, dass die von den Parteien abgegebenen vertraglichen Willenserklärungen rechtlich schlechthin unwirksam sind, also für keine Partei irgend eine vertragliche Berechtigung oder Verpflichtung begründen.

Hiernach kann für den Beklagten eine Rechtspflicht zur Bezahlung der versprochenen CHF 5'000 jedenfalls dann nicht entstanden sein, wenn das Zahlungsversprechen einen Teil des abgeschlossenen Vertrages bildet, wenn es sich also um ein Versprechen zur Bezahlung einer Konventionalstrafe handelt, die bei Nichterfüllung des Vertrages – Weigerung des Beklagten zum Abschlusse des Kaufvertrages Hand zu bieten – geschuldet würde, aber allfällig um ein Versprechen zur Entrichtung eines Neugeldes, gegen das der Beklagte vom Vertrage zurücktreten könnte. Die Ungültigkeit des Vertrages erstreckt sich auf seinen ganzen Inhalt und daher auch auf solche dazu gehörende Nebenabreden, wodurch die Leistungspflicht einer Partei bekräftigt werden soll.

3. – Der Kläger will nun aber der streitigen Klausel eine vom übrigen Vertragsinhalte gesonderte, selbständige Stellung anweisen, indem er geltend macht, es handle sich um ein bedingtes Zahlungsversprechen abstrakter Natur, das als solches keiner bestimmten Form bedürfe. Allein in Wirklichkeit lässt sich die bedungene Zahlungspflicht von dem zu Grunde liegenden Rechtsgeschäft nicht ablösen. Der Anspruch, der gesetzlich oder vertraglich dem Gläubiger bei Nichterfüllung der Leistungspflicht des Schuldners erwächst, steht ordentlicherweise nicht ausserhalb des Vertragsverhältnisses, sondern bildet einen Bestandteil davon und hängt mit den sonstigen Vertragsbeziehungen zusammen. Dass es sich hier aus besonderen Gründen anders verhalte, ist nicht dargetan. Mit Unrecht führt der Kläger in dieser Beziehung an, der Beklagte habe die Zahlung für den Fall versprochen, dass er von seiner „Offerte“ – nicht vom Vertrage – zurücktrete. Wie schon bemerkt, kann darunter nur das Zurücktreten vom Vorvertrage, oder genauer die Nichterfüllung dieses gemeint sein. Und übrigens hat ja der Kläger seine Vorvertragsofferte als solche aufrecht erhalten und es zum Abschlusse des Vorvertrages kommen lassen.

4. – Der Kläger hält endlich der Einwendung der Ungültigkeit des Vertrages entgegen, der Beklagte habe arglistig gehandelt, weil er sich von Anfang an jener Ungültigkeit bewusst gewesen sei und den Beklagten darüber in einem Irrtum gelassen habe. Nun fehlt es aber nach dem Tatbestande, wie ihn die Vorinstanzen bundesrechtlich unanfechtbar festgestellt haben, schon an den nötigen faktischen Anhaltspunkten, aus denen, sich ein arglistiges Verhalten des Klägers entnehmen liesse.
Damit braucht nicht geprüft zu werden, welches die Rechtsfolgen eines solchen Verhaltens wären, namentlich, ob es ausschlösse, die Nichtigkeit des Vertrages gegenüber dem Getäuschten geltend zu machen, oder ob diesem ein Ersatzanspruch aus unerlaubter Handlung zustände.

Demnach hat das Bundesgericht erkannt:

Die Berufung wird abgewiesen und damit das Urteil der 1. Appellationskammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 18. Januar 1913 bestätigt.

Urteil im Original-Wortlauf: 42. Urteil der 1. Zivilabteilung vom 26. April 1913

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